2. Cyclodextrine historisch betrachtet |
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Die Geschichte der Cyclodextrine kann in drei Zeiträume eingeteilt werden, die die verschiedenen Entwicklungsstufen in der Cyclodextrin-Forschung widerspiegeln. Im Zeitraum von 1891 bis 1935 wird nach der Entdeckung zunächst Grundlagenforschung betrieben. Doch die Molekülstruktur der Cyclodextrine blieb noch für einige Jahrzehnte unbekannt. Erst mit der Kenntnis über den Aufbau der Cyclodextrine aus Glucose-Einheiten und die cyclische Struktur im Jahr 1936 wird das nächste Zeitalter der Cyclodextrin-Forschung eingeläutet, in dem die Cyclodextrine systematisch untersucht wurden. Außerdem widmete man sich den Komplexverbindungen der Cyclodextrine. Gegen Ende der 1960er Jahre war vor allem die Herstellung der Cyclodextrine soweit erforscht, dass mit der industriellen Produktion begonnen werden konnte. Der dritte, bis heute andauernde Zeitraum wird geprägt von dem Aufstieg der Cyclodextrine von einer teuren Feinchemikalie zu einem Produkt aus der großtechnischen Herstellung und der Verwendung der Cyclodextrine in vielfältigen Anwendungen. |
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Entdeckung der Cyclodextrine |
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Die erste Erwähnung einer Substanz, die sich später als ein Cyclodextrin herausstellt, findet sich bei A. Villiers im Jahr 1891, der aus 1 kg Stärke 3 g einer kristallinen Substanz erhält, nachdem er die Stärke mit dem Bacillus amylobacter versetzt hat. Heute ist man sich sicher, dass dieser Bakterienstamm mit dem Bacillus macerans verunreinigt gewesen sein muss, denn dieser Bakterienstamm produziert ein Enzym, die sogenannte Cyclodextringlycosyltransferase CGTase, das die Bildung der Cyclodextrine erst ermöglichet. |
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Abb. 1.12: A. Villiers erhielt beim Stärkeabbau eine farblose Substanz, deren Kristallform man unter dem Mikroskop (vierfache Vergrößerung) gut erkennen kann |
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A. Villiers bezeichnet die Substanz als „cellulosine“, da sie wie Cellulose gegen saure Hydrolyse ziemlich stabil ist und keine reduzierenden Eigenschaften aufweist. Auch der Mikrobiologe F. Schardinger erhielt bei seinen Untersuchungen zum Abbau von Stärke durch Enzyme ein Produkt, das dem von A. Villiers sehr ähnelt. Ihm gelang die Isolierung des Bakterienstamms, der die Cyclodextrin-Bildung aus Stärke katalysiert. F. Schardinger gab ihm den Namen Bacillus macerans. Durch die Beobachtung, dass das neuartige Abbauprodukt der Stärke mit Iod zwei charakteristische Addukte bildet, die sich sowohl in den Kristallformen als auch in der Farbe unterscheiden, schloss er, dass bei dem enzymatischen Abbau zwei neue Stoffe gebildet wurden. Aufgrund der Herkunft wurden die neuen Stoffe als α-Dextrin und β-Dextrin bezeichnet. Weder die Summenformel noch die Molekülstruktur waren den Entdeckern A. Villiers und F. Schardinger bekannt. |
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Abb. 1.13: Braune Kristalle des Iod-β-Cyclodextrin-Komplexes unter dem Mikroskop mit vierfacher Vergrößerung |
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Über die Bildung der Iod-Addukte konnte er die beiden Dextrine voneinander unterscheiden, denn mit α-Cyclodextrin bildet Iod einen grau-grünen Komplex und mit β-Cyclodextrin einen braunen Komplex (siehe Abb. 1.13). In den Jahren nach der Entdeckung der Cyclodextrine war F. Schardinger maßgeblich an der Forschung zu Cyclodextrinen beteiligt. Ab 1911 übernahm Pringsheim mit seinen Mitarbeitern die führende Rolle in der Cyclodextrin-Forschung. Auch wenn es den vielen Forschungsergebnissen der Arbeitsgruppe um Pringsheim zum Teil an Verlässlichkeit und Reproduzierbarkeit mangelte, so ist dieser Arbeitsgruppe die Erkenntnis über die Fähigkeit der Komplexbildung der Cyclodextrine mit verschiedensten organischen Substanzen zuzuschreiben. |
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Aufklärung der Struktur und Forschung an Cyclodextrin-Komplexen |
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Schon zu Beginn der 30er Jahre konnten die Chemiker um K. Freudenberg beweisen, dass die als Schardinger Dextrine bezeichneten Stoffe aus Maltoseeinheiten aufgebaut sind, die untereinander durch α-1,4-glykosidische Bindungen verbunden sind. Diese Behauptung ist bei dem β-Cyclodextrin mit einer ungeraden Anzahl an Glucose-Einheiten natürlich nicht haltbar. Man kann aber sagen, dass die Cyclodextrine aus Glucose-Einheiten aufgebaut sind, die wie auch die beiden Glucose-Moleküle in der Maltose α-1,4-glykosidisch verbunden sind.
Erst 45 Jahre nach Entdeckung der Cyclodextrine durch A. Villiers postulierte K. Freudenberg, dass die Schardinger Dextrine eine cyclische Struktur aufweisen müssen. Das heute neben α- und β-Cyclodextrin industriell produzierte γ-Cyclodextrin wurde sogar erst 1948 entdeckt.
Bei der intensiven Beschäftigung mit der Produktion der Cyclodextrine und der Auftrennung in reine Fraktionen wurden dann auch Cyclodextrine mit mehr als acht Glucose-Einheiten entdeckt.
Im Jahr 1953 wurde das erste Patent zur Komplexbildung der Cyclodextrine angemeldet. Die drei Forscher K. Freudenberger, F. Cramer und H. Plieninger berichten in der Patentschrift, dass in Cyclodextrinen Moleküle komplexiert werden können, die dadurch gegenüber der Oxidation an der Luft geschützt werden können. Weiterhin kann die Löslichkeit von Arzneistoffen durch Komplexierung erhöht werden, während der Dampfdruck leichtflüchtiger Stoffe herabgesetzt werden kann.
Diese Erkenntnisse weckten das Interesse der Industrie, da sich verschiedenste Anwendungsbereiche für die Cyclodextrin-Komplexe ergeben könnten.
Doch die Berichte über die angebliche Toxizität der Cyclodextrine unterbanden den Fortschritt in der Cyclodextrin-Chemie. Nachdem zwei unabhängige Studien die Unbedenklichkeit der Cyclodextrine bestätigt hatten, kam es zum rasanten Anstieg von Veröffentlichungen zu Cyclodextrinen.
Das Unternehmen Wacker Chemie AG produziert seit Anfang der 1980er Jahre Cyclodextrine. Die neueste Produktionsanlage von WACKER mit einer jährlichen Produktion von mehr als 4000 Tonnen Cyclodextrinen steht im US-Staat Iowa in nächster Nachbarschaft zu riesigen Anbauflächen von Mais, auf denen der Rohstoff Maisstärke für die Cyclodextrin-Produktion heranwächst. |
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Abb. 1.14: Produktionsstätte der Firma Wacker in Eddyville Iowa (USA) |
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Neben den drei natürlichen Cyclodextrinen werden mehr als 100 Derivate industriell produziert und in verschiedenen Anwendungsbereichen eingesetzt. Vor allem für die Anwendung im pharmazeutischen Bereich werden immer noch Derivate gesucht, die den vielfältigen Ansprüchen bezüglich der Eigenschaften genügen müssen. Sie müssen vor allem sehr gut wasserlöslich, kostengünstig in der Herstellung, hochrein synthetisierbar und nicht toxisch sein. Außerdem sollen sie sich bei hohen Temperaturen nicht zersetzen, da eine Sterilisierung der Medikamente notwendig ist. Die Fähigkeit zur Komplexierung verschiedener Wirkstoffe und ein schneller und unproblematischer Metabolismus sind weitere Ansprüche an Cyclodextrin-Derivate für pharmazeutische Produkte. |
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Literatur:
- Szejtli, J.; Osa, T.; Comprehensive Supramolecular Chemistry. Volume 3 Cyclodextrins, Elsevier Science Ltd. Oxford, 1996, S. 1-4
- Szejtli, J.; Pure Appl. Chem., 10, 2004, 76, 1825-1845
- Szejtli, J.; Chem. Rev., 1998, 98, 1743-1753
- Regiert, M.; Cyclodextrins: Anti-Aging Sugars; WACKER WORLD WIDE CORPORATE MAGAZINE 3/2002, 2002, 22-27
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