Anfangweiter 3. Cyclodextrine in Lebensmitteln
Viele Menschen ernähren sich ungesund. Obwohl die Gesundheitsrisiken bekannt sind, nehmen wir zu viele und „schlechte“ Fette und zu wenige Ballaststoffe zu uns. In der Lebensmittelchemie werden darum gesundheitsfördernde Zusatzstoffe für Lebensmittel erforscht, die allerdings geschmacks- und geruchsneutral sein sollen. Die natürlichen Cyclodextrine werden zu unterschiedlichen Zwecken in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Die Bedingung der Neutralität in Geruch und Geschmack erfüllen sie, denn obwohl die Cyclodextrin-Moleküle aus Glucose-Einheiten aufgebaut sind, schmecken α- und β-Cyclodextrin gar nicht süß, während γ-Cyclodextrin nur einen leicht süßlichen Geschmack hat. Da die Cyclodextrine als farblose Pulver anfallen, sind sie in der Lebensmittelverarbeitung sehr leicht zu handhaben.
α-Cyclodextrin als Lebensmittelzusatzstoff
Das α-Cyclodextrin wird als Präbiotikum eingesetzt. Mit diesem Begriff werden unverdauliche Kohlenhydrate bezeichnet, die im Dickdarm die Darmflora unterstützen. Da wir mit unserer Ernährung nur die Hälfte der für die Gesundheit der Darmflora erforderlichen Menge an unverdaulichen Kohlenhydraten aufnehmen, ist das Interesse an solchen Lebensmittelzusatzstoffen groß. Das kleinste der natürlichen Cyclodextrine ist aufgrund seiner Stoffeigenschaften optimal für die pharmazeutische Aufgabe geeignet. Da es in Wasser gut löslich ist, die Viskosität der Lösung nicht beeinflusst und geschmacksneutral ist, kann es daher in Getränken problemlos eingesetzt werden.
Abb. 1.44: Das gut lösliche α-Cyclodextrin erhöht in Getränken den Ballaststoffanteil ohne Geschmacksbeeinträchtigung
Abb. 1.45: Das unter dem Namen CAVAMAX® W6 gehandelte WACKER-Produkt α-Cyclodextrin zeigt mit Glycin keine Maillard-Reaktion
So wird in unserer Ernährung der Anteil an Ballaststoffen erhöht, die für die Gesundheit des Darmes wichtig sind. Außerdem haben lösliche Ballaststoffe einen günstigen Einfluss auf die Blutfettwerte und den Blutzuckerspiegel. Neben der Verwendung in Getränken bietet sich α-Cyclodextrin auch für den Einsatz in Backwaren und anderen Lebensmittel-Fertigprodukten an, denn es bleibt auch bei höheren Temperaturen stabil. Die typische Verfärbung und Bildung von Aromastoffen in der Maillard-Reaktion bleibt aus, weil α-Cyclodextrin keine reduzierenden Zucker enthält. Im Vergleich dazu unterliegen Glucose und Maltodextrin bei der Reaktion mit der Aminosäure Glycin einer deutlichen Verfärbung (siehe Abb. 1.45).
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Abb. 1.46: In Backwaren kann der Zusatz von α-Cyclodextrin den Ballaststoffgehalt erhöhen
Bei der Auswahl der Zutaten in Backwaren muss darauf geachtet werden, dass die Inhaltsstoffe keine Wasseradsorption zeigen, damit die Backwaren auch bei der Lagerung noch kross und frisch bleiben. Anders als andere Ballaststoffe wie Inulin ist α-Cyclodextrin kaum hygroskopisch (siehe Abb. 1.47).
Abb. 1.47: α-Cyclodextrin zeigt im Vergleich zu anderen löslichen Fasern eine sehr geringe Hygroskopie
Zulassung der Cyclodextrine als Lebensmittelzusatzstoffe
Auch das γ-Cyclodextrin mit acht Glucose-Einheiten eignet sich für den Einsatz in der Lebensmittelbranche. Da aber die Lebensmittelzulassung in jedem Land anderen Gesetzen unterworfen ist, beschränkt sich die Verwendung auf die Länder, in denen γ-Cyclodextrin bereits zugelassen wurde. In den USA und Japan dürfen bereits alle drei natürlichen Cyclodextrine als Lebensmittelzusatzstoffe eingesetzt werden, während in Europa nur das β-Cyclodextrin zugelassen wurde (siehe Tab. 1.8).

 

USA

Japan

Europa

α-Cyclodextrin

GRAS-Status*
max. Tagesdosis nicht spezifiziert

zugelassen
max. Tagesdosis nicht spezifiziert

nicht zugelassen

β-Cyclodextrin

GRAS-Status*
max. Tagesdosis 5mg/kg Körpergewicht

zugelassen
max. Tagesdosis nicht spezifiziert

zugelassen
max. Tagesdosis 1g/kg Lebensmittel

γ-Cyclodextrin

GRAS-Status*
max. Tagesdosis nicht spezifiziert

zugelassen
max. Tagesdosis nicht spezifiziert

nicht zugelassen

* GRAS = Generally Recognized As Safe

Tab. 1.8: Übersicht über die Zulassung der Cyclodextrine als Lebensmittelzusatzstoffe
Die natürlichen Cyclodextrine werden als sogenannte Nutriceuticals eingesetzt. Unter diesem Begriff, der die Wörter nutrition (engl., Ernährung) und pharmaceutical (engl., pharmazeutisch) beinhaltet, fasst man Lebensmittelzusatzstoffe zusammen, die zur Gesundheitsförderung und zur Vorbeugung vor Erkrankungen beitragen sollen, die durch Mangel- oder Fehlernährung hervorgerufen werden können. Während α-Cyclodextrin die Funktion eines Präbiotikums besitzt, werden β-Cyclodextrin und γ-Cyclodextrin aufgrund ihr Komplexbildungsfähigkeit für verschiedenste Substanzen verwendet.
Anfangweiter Einsatz von β- und γ-Cyclodextrin in der Lebensmittelverarbeitung
Bei Lebensmitteln, die Pflanzenextrakte enthalten, sind bittere Aromastoffe oftmals unerwünschte Bestandteile. Die Cyclodextrin-Moleküle können diese in ihrem Hohlraum komplexieren. Beispielsweise wird Pampelmusensaft in der Aufbereitung mit Cyclodextrinen behandelt, um die Bitterstoffe Naringin und Limonen (siehe Abb. 1.48) größtenteils aus dem Saft zu entfernen. Die anderen Aromastoffe der Pampelmuse werden nur zu einem geringen Teil komplexiert, die Säure und der Vitamin C-Gehalt ändern sich durch die Behandlung nicht, so dass nur die bittere Geschmacksnote verschwindet. Um eine gleich bleibende Qualität zu garantieren, sind in den USA für den Gehalt der beiden Bitterstoffe Naringin und Limonen Höchstgrenzen gesetzt. Bevor bei der Aufbereitung Cyclodextrine zum Einsatz kamen, konnten die Höchstgrenzen nur durch Verschneiden mit süßen Säften unterboten werden.
Abb. 1.48: Naringin und Limonen sind für den bitteren Geschmack im Pampelmusensaft verantwortlich

Damit die Cyclodextrine nicht in die Säfte gelangen, verwendet man Cyclodextrin-Polymere. Als Monomer-Einheiten werden derivatisierte Cyclodextrin-Moleküle synthetisiert, die untereinander vernetzt werden. Das Cyclodextrin-Polymer, das mit Naringin und Limonen beladen ist, wird durch Zugabe von Natronlauge und anschließendem Waschen wieder regeneriert.

Die Bildung der Wirt-Gast-Komplexe macht man sich auch bei der Herstellung cholesterinfreier Lebensmittel zunutze. Denn ein Cholesterinmolekül hat in dem β-Cyclodextrin-Molekül mit sieben Glucose-Einheiten genau Platz.

Abb. 1.49: Cholesterinfreie Butter oder Margarine erhält man durch Behandlung der Fette mit Cyclodextrinen, die das Cholesterin in ihrem Hohlraum komplexieren
Anfangweiter Verwendung β- und γ-Cyclodextrin in Lebensmitteln

Die Cyclodextrin-Moleküle werden nicht nur in der Lebensmittelverarbeitung sondern auch in den Lebensmitteln selbst eingesetzt. Dann fungieren sie vor allem als molekulare Speicher für Moleküle. Aufgrund der Größe werden meistens β-Cyclodextrin oder γ-Cyclodextrin verwendet. Die Komplexbildung ermöglicht eine kontrollierte Freisetzung von eingeschlossenen Molekülen, denn für die Dissoziation der Wirt-Gast-Komplexe muss ein wenig Feuchtigkeit vorhanden sein. So können Geschmacksstoffe im Kaugummi gespeichert werden, die erst beim Kauen im Mund kontinuierlich freigesetzt werden. Durch Komplexierung von Molekülen ergeben sich weitere Vorteile, denn die eingeschlossenen Moleküle sind in den Cyclodextrin-Hohlräumen vor Verflüchtigung, Sublimation und Oxidation geschützt.
Außerdem werden auf diese Weise unangenehm schmeckende Aromastoffe maskiert. Mehrere Vorteile der Komplexbildung mit Cyclodextrinen macht man sich bei den Omega-3-Fettsäuren und chemischen Verwandten zunutze, die die Blutfettwerte positiv beeinflussen und somit das Risiko für einen Herzinfarkt oder Arteriosklerose senken. Die Omega-3-Fettsäuren und Omega-6-Fettsäuren werden vor allem aus Fischölen und Algenextrakten gewonnen, die einen unangenehmen Geschmack und Geruch mit sich bringen.

Der Buchstabe ω ist der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet. Deshalb wird das Kohlenstoffatom, das am weitesten von der Carboxy-Gruppe entfernt ist, mit ω bezeichnet. Die Zahl zeigt an, in welcher Entfernung zum letzten Kohlenstoff-Atom die erste Doppelbindung in der ungesättigten Fettsäure vorliegt.

Abb. 1.50: Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren werden durch mehrere Cyclodextrin-Moleküle komplexiert

Durch die Verkapselung in Cyclodextrinen erhält man ein farbloses und geruchsloses Pulver, das sich sehr leicht verarbeiten lässt und in Wasser eine feine Suspension bildet. Neben der Maskierung der Gerüche werden die Fette in den Wirt-Gast-Komplexen vor Oxidation geschützt, so dass das Fett nicht ranzig werden kann. In dem Cyclodextrin-Komplex von WACKER mit dem Namen OmegaDry® Cranberry werden verschiedene Inhaltsstoffe aus dem Preiselbeersamenöl im γ-Cyclodextrin komplexiert. Das kaltgepresste Preiselbeersamenöl enthält eine Mischung von Fetten mit Omega-3-, Omega-6- und Omega-9-Fettsäuren (siehe Abb. 1.50). Außerdem werden Komplexe mit Vitamin E (Tocopherol) und den funktionsisomeren Tocotrienolen gebildet (siehe Abb. 1.51). Das Interesse an Vitamin E und Tocotrienol ist so groß, da sie sehr gute lipophile Antioxidantien sind. Sie schützen Lipidmoleküle in den Zellmembranen vor oxidativer Zerstörung, verhindern so die vorzeitige Hautalterung und können Haut- und Gewebeschäden mildern, die auf UV-Licht-Bestrahlung zurückzuführen sind. Die Komplexe mit Tocopherol und Tocotrienol können in Nahrungsmitteln und in Hautpflegeprodukten zur Anwendung kommen.

Abb. 1.51: Hinter OmegaDry® Cranberry (WACKER-Produkt) verbergen sich Cyclodextrin-Komplexe mit Komponenten aus kaltgepresstem Preiselbeersamenöl
Anfangweiter Durch den Einsatz von Cyclodextrin-Komplexen ergeben sich viele Vorteile für Anwendungen in Lebensmitteln und in der Lebensmittelverarbeitung:
  • Schutz reaktiver Substanzen vor Oxidation, photooxidativen Reaktionen, thermischer Zersetzung, Verlust durch Verflüchtigung oder Sublimation
  • Verschwinden oder Reduzieren von unangenehmem Geschmack und Geruch
  • Entfernung unerwünschter Komponenten aus Stoffgemischen
  • Verbesserung der Löslichkeit schwer löslicher Komponenten
  • längere Haltbarkeit und Lagerfähigkeit der Produkte
  • Standardisierung von Zusammensetzungen, einfache Dosierung und Handhabung der pulverförmigen Cyclodextrin-Komplexe

Literatur:

  • Wacker Chemie AG; CAVAMAX® Alpha Cyclodextrin – The new soluble dietary fiber (www.wacker.com/internet/webcache/de_DE/IndApp/Food/Soluble_Fiber/ CMW6_Sol_fibre_200507_d.pdf)
  • Reuscher, H.; Flexible Bausteine für eine gesunde Ernährung; WACKER WORLD WIDE CORPORATE MAGAZINE /2.4, 2004, 22-25
  • Szejtli, J.; Osa, T.; Comprehensive Supramolecular Chemistry. Volume 3 Cyclodextrins, Elsevier Science Ltd. Oxford, 1996, S. 483-496
  • Wacker Chemie AG; CAVAMAX® OmegaDry® Cyclodextrins in food and nutraceutical applications (www.wacker.com/internet/webcache/de_DE/IndApp/ Food/Food-Nut_Apps_ 200507_d.pdf)
  • Regiert, M.; Cosmetics & Toiletries; 4, 2006, 121, 43-50
  • Tausch, M.; von Wachtendonk, M.; Chemie 2000+ Band 3; C.C. Buchner Bamberg, 2005, S. 86-87
  • www2.chemie.uni-erlangen.de/projects/vsc/chemie-mediziner-neu/vitamine/ vite01.html
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